Das Haus der jüdischen Familie de Levie

Bahnhofstraße 24 a, 26180 Rastede

Die Familie de Levie

Levie de Levie war Viehhändler. Seine Frau Sophie war die Tochter des Viehhändlers Arend Polak aus Westerstede. Nach 1900 zogen sie nach Rastede und kauften dort das im Jahr 1878 erbaute Wohnhaus in der Bahnhofstraße (heutige Hausnummer 24 a). Neben dem Viehhandel betrieb die Familie auch eine eigene Landwirtschaft.

Im Jahr 1933 lebten Levie und Sophie de Levie mit ihren Kindern Regina, Bernhard und Grete sowie Gretes Tochter Hannelore Rosenbaum in dem Haus in der Bahnhofstraße 24 a. Ihre Tochter Anna wohnte mit ihrem Ehemann, dem jüdischen Viehhändler Norbert Pagener, und den beiden Töchtern Ruth und Ingrid in der Knoopstraße (heutige Raiffeisenstraße).

  • Name: Levie de Levie
  • Geburtsdatum: 12.09.1874
  • Geburtsort: Niewe Pekela (Provinz Groningen, Niederlande)
  • verheiratet mit: Sophie de Levie (geb. Polak)
  • Kinder: Grete de Levie (verh. Rosenbaum), Regina de Levie (verh. Wittkop), Bernhard de Levie, Anna de Levie (verh. Pagener)
  • Todesdatum: 08.08.1950
  • Todesort: Cochabamba, Bolivien
  • Name: Grete de Levie, verh. Rosenbaum
  • Geburtsdatum: 21.01.1901
  • Geburtsort: Astede (bei Varel)
  • verheiratet mit: Moritz Rosenbaum (Scheidung bereits vor 1933)
  • Kind: Hannelore Rosenbaum
  • Todesdatum: 04.12.1075
  • Todesort: Berlin
  • Name: Bernhard de Levie
  • Geburtsdatum: 29.12.1903
  • Geburtsort: Rastede
  • Beruf: Viehändler
  • verheiratet mit: Doris, geb. Bachmann (Heirat 1935)
  • Todesdatum: 23.06.1963
  • Todesort: Buenos Aires, Argentinien
  • Name: Sophie de Levie, geb. Polak
  • Geburtsdatum: 07.03.1877
  • Geburtsort: Westerstede
  • verheiratet mit: Levie de Levie
  • Kinder: Grete de Levie (verh. Rosenbaum), Regina de Levie (verh. Wittkop), Bernhard de Levie, Anna de Levie (verh. Pagener)
  • Todesdatum: um 1950
  • Todesort: Buenos Aires, Argentinien
  • Name: Regina de Levie, verh. Wittkop
  • Geburtsdatum: 01.02.1902
  • Geburtsort: Rastede
  • verheiratet mit: August Wittkop (Heirat 1933)
  • Name: Anna de Levie, verh. Pagener
  • Geburtsdatum: 18.09.1905
  • Geburtsort: Rastede
  • verheiratet mit: Norbert Pagener (Heirat 1925)
  • Kinder: Ruth und Ingrid Pagener
  • Todesdatum: unbekannt (1944/45)
  • Todesort: KZ Stutthoff, Polen

Ausgrenzung und Diskriminierung

Die Familie de Levie wurde besonders häufig das Ziel von Schikane und Anfeindung, weil die Kinder Bernhard und Grete Sozialdemokrat*innen waren. Daher führte die Polizei immer wieder Hausdurchsuchungen durch.

Rasteder Nationalsozialist*innen bezeichneten es zudem als Provokation, dass Bernhard und Regina Personen heirateten, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre als „Arier“ waren. Verboten wurde dies erst 1935 durch die Nürnberger Gesetze, schon davor galt es aber als „Rassenschande“ und führte zu sozialer Ausgrenzung. Regina de Levie heiratete im Jahr 1933 August Wittkop. Die Hochzeit fand in Rastede statt. Nach der Heirat war es für August Wittkop unmöglich, eine Anstellung zu erhalten. Wenn ihm doch eine Stelle anboten wurde, intervenierte die Rasteder NSDAP oder Bürgermeister Fritz Jeddeloh selbst.

Bernhard de Levie heiratete im Jahr 1935 – vier Monate, bevor es durch die Nürnberger Gesetze verboten wurde – die „Arierin“ Doris Bachmann. Sie kam aus Oldenburg und absolvierte in Rastede eine Lehre zur Apothekerin. In Rastede war eine Hochzeit zwischen den beiden zu dieser Zeit nicht mehr möglich, die Trauung fand daher in Oldenburg statt. In Rastede war die Eheschließung ein Skandal. Doris de Levie erinnerte sich später: „In der ‚Oldenburger Staatszeitung‘ stand über unsere Hochzeit ein hässlicher Artikel, in dem es sinngemäß hieß, dass man solche Rassenschande zukünftig nicht mehr zulassen werde.“ Doris de Levie durfte als Frau eines Juden in den meisten Rasteder Geschäften nicht mehr einkaufen. Bernhard de Levie wurde immer wieder wegen Kleinigkeiten verhaftet, sein Geschäft ging zurück.

Verfolgung und Vertreibung

Weil sich die Lage immer weiter verschärfte zogen die Mitglieder Familie de Levie aus Rastede weg. Regina Wittkop (geb. de Levie) ging 1935 mit ihrem Ehemann August Wittkop nach Schwerin. Grete Rosenbaum (geb. de Levie) und ihre Tochter Hannelore zogen im Mai 1936 von Rastede nach Hamburg.

Ab 1936 machten die Rasteder Bauern keine Geschäfte mehr mit den jüdischen Viehhändlern, ein Leben in Rastede war daher auch für Levie und seinen Sohn Berhard de Levie sowie ihre Ehefrauen nicht mehr möglich. Im März 1937 zogen sie zunächst nach Oldenburg.

Bernhard und Doris de Levie wanderten im April 1938 nach Argentinien aus, wo Doris Verwandte hatte. Grete Rosenbaum emigrierte 1938 nach Bolivien.

Levie und Sophie de Levie erlebten die Novemberprogrome 1938 in Oldenburg. Levie de Levie wurde verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen interniert. Im Februar 1940 konnten Levie und Sophie de Levie nach Bolivien zu ihrer Tochter Grete Rosenbaum (geb. de Levie) emigrieren.

Zwangsarbeit

Regina Wittkop musste während des Zweiten Weltkriegs in eine elende Massenunterkunft für jüdische Menschen in Hamburg ziehen und Zwangsarbeit leisten. Sie wurde nicht in ein Konzentrationslager deportiert, weil sie einen „arischen“ Ehemann hatte.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus

Kurz nach Kriegsende 1945 zog Regina Wittkop zu ihrer Schwester Grete Rosenbaum nach Bolivien. Reginas Mann August Wittkop war bereits im März 1945 verstorben. Regina Wittkop, Grete Rosenbaum und ihre Tochter Hannelore lebten zwischenzeitlich in Urugay. In den 1970er Jahren kehrten sie nach Deutschland zurück und lebten seitdem in Berlin.

Bernhard und seine Frau Doris de Levie blieben zeitlebens in Argentien. Sie bekamen eine Tochter.

Levie de Levie war vom Schicksal gezeichnet. Er starb im August 1950 in Bolivien. Sophie de Levie verstarb wenig später 1950 in Argentinien.

Das Haus in der Bahnhofstraße 24 a

Als Levie de Levie um 1900 mit seiner Familie nach Rastede zog, kaufte er das 1878 erbaute Wohnhaus in der Bahnhofstraße 24a. Nachdem seine Töchter Grete und Regina weggezogen waren, verließ auch Levie de Levie im Jahr 1937 mit seiner Frau Sophie, dem Sohn Bernhard und dessen Ehefrau Doris Rastede. Die Gemeinde Rastede eignete sich ihr Wohnhaus an und vermietete es. Zeitweise wurde hier auch ein Kindergarten untergebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten enteignete Immobilien wieder an ihre rechtmäßigen jüdischen Eigentümer zurückgegeben werden. Nicht zurückgegeben wurden allerdings die Möbel.

ehemaliges Wohnhaus der Familie de Levie in der Bahnhoftstraße 24a, Foto von 2022

In den 1950er Jahren gehörte das Haus dann wieder der Gemeinde Rastede und wurde von mehreren Familien bewohnt. Später wurde es eine Polizeistation. Als die Polizei im Jahr 1976 in das Gebäude nebenan umzog, kaufte der Anwalt Erwin Hanschel das Haus. Er nutzte es bis 2007 als Anwaltskanzlei und richtete 2008 für kurze Zeit eine Kunstgalerie ein, bevor er es wieder verkaufte. 2011 wurde das Haus renoviert und eine Naturheilpraxis eingerichtet. Heute befindet sich in dem historischen Gebäude ein Zentrum für Bioresonanz-Therapie.

Informationen über die Familie de Levie wurden entnommen aus:
Vahlenkamp, Werner: Von der Achtung zur Ächtung: Die Geschichte der Rasteder Juden. 1989. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)

Zur Geschichte des Hauses in der Bahnhofstraße 24:
Müller, Wolfgang: Kunst nach Polizei und Anwaltskanzlei. In: NWZ Online, 04.09.2008, https://www.nwzonline.de/ammerland/kultur/kunst-nach-polizei-und-anwaltskanzlei_a_3,0,3568086890.html, letzter Zugriff: 24.06.2022. (Dieser Artikel der NWZ kann als „PLUS-Artikel“ von Abonnent*innen oder gegen Entgelt abgerufen werden.)