Gedenktafel am Rasteder Rathaus

Sophienstraße 27, 26180 Rastede

Unsere jüdischen Mitbürger*innen

Im Jahr 1989 wurde am Eingang des Rasteder Rathauses eine Gedenktafel angebracht, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. „Unsere jüdischen Mitbürger“, die ermordet wurden, werden dort namentlich genannt. 1933 lebten zwanzig Menschen in Rastede, die nach der Rassenideologie der Nationalsozialist*innen als „Volljuden“ galten. Dabei handelte es sich um Mitglieder von vier jüdischen Familien – Familie Hattendorf, Familie Hoffmann, Familie Pagener und Familie de Levie – sowie um zwei Einzelpersonen – Elimar Pinto und Dina Röben. Die auf der Gedenktafel genannten ermordeten Rasteder*innen entstammen drei der vier jüdischen Familien.

Gedenktafel am Rasteder Rathaus, Foto von 2022

Die Familien Hoffmann, de Levie und Pagener lebten vom Viehhandel und hatten eine eigene Landwirtschaft. Als Viehhändler waren sie angesehen und hatten ein solides Einkommen. Karl Hattendorf war Schlachter, zusammen mit seiner Frau Klara betrieb er eine Schlachterei mit Verkauf. Ihre Tochter Selma war bei der Volksbank Rastede angestellt. Elimar Pinto begann 1933 eine Lehre als Gärtner. Dina Röben hatte einen christlichen Ehemann und war auch selbst zum Christentum übergetreten.

Diskriminierung und Ausgrenzung

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nahm der Antisemitismus im Ammerland und in Rastede erheblich zu. Seit ihrer Gründung im Februar 1920 machte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) Wahlkampf und hetzte dabei verstärkt gegen jüdische Menschen. Dazu wurden auch antisemitische Wanderredner eingesetzt. So hielt der ehemalige Pfarrer von Borkum, Ludwig Münchmeyer, zwischen 1926 und 1928 als sogenannter „Judenexperte“ im Ammerland 25 Hetzreden, die sehr gut besucht waren. Bei einer solchen Rede im Januar 1927 in Rastede waren einem Bericht zufolge um die 200 Personen anwesend. Zu dieser Zeit befanden sich die jüdischen Bürger*innen in Rastede und im Ammerland schon in einer allgemeinen Außenseiterposition. Die jüdischen Familien in Rastede konnten aber gut von ihrem Geschäft als Viehhändler bzw. Schlachter leben, als Geschäftspartner hatten sie einen guten Ruf.

Bei den Reichstagswahlen 1933, die zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland führten, erhielt die NSDAP in Rastede 67 Prozent der Stimmen. Zusammen mit der verbündeten und ebenfalls antisemitisch auftretenden Deutschnationalen Volkspartei kam man insgesamt auf 85 Prozent der Stimmen. Ab diesem Zeitpunkt verschlechterte sich die Situation der Juden in ganz Deutschland drastisch. Eine der ersten offiziellen politischen Maßnahmen war der „Judenboykott“ am 1. April 1933. In ganz Deutsch­land wur­den jüdische Geschäfte umstellt, es wurden Schil­der angebracht „Kauft nicht beim Juden“, Scheiben wurden ein­geschlagen, jüdische Men­schen wurden angegriffen.

In Rastede betraf der „Judenboykott“ vor allem das Geschäft von Karl Hattendorf. Der Verkauf an seiner Schlachterei wurde von SA-Männern umstellt, so dass sich niemand hinein traute. Seiner Stieftochter Selma Hattendorf, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie als „Halbjüdin“ galt, wurde von ihrem Arbeitgeber, der Rasteder Volksbank, mit Verweis auf ihre jüdische Abstammung zum 1. April 1933 gekündigt.

Bereits im Frühjahr 1933 wurden die sogenannten „Volljuden“ aus dem Rasteder Turnverein ausgeschlossen – lange bevor es dazu eine offizielle gesetzliche Anordnung gab. Im Frühjahr 1934 folgte dann auch der Ausschluss der „Halbjüdin“ Selma Hattendorf.

Jüdische Menschen konnten in Rastede in den meisten Geschäften nicht mehr einkaufen, Nachbar*innen grüßten nicht mehr. Die drei jüdischen Kinder im Schulalter wurden in der Volksschule schikaniert und verprügelt. Dabei waren es vor allem Lehrkräfte, die die Mitschüler*innen gegen sie aufhetzten.

Die jüdischen Viehhändler konnten zunächst noch weiter arbeiten, weil sie für die Landwirte unersetzbar waren. Sie wurden aber zum Beispiel durch die Verwaltung schikaniert, indem man sie ständig wegen Kleinigkeiten anzeigte und Hausdurchsuchungen durchführte.

Die Familie de Levie wurde in besonderem Maße schikaniert und mit Hausdurchsuchungen überzogen, weil die Geschwister Bernhard und Regina Sozialdemokrat*innen waren. Für große Empörung sorgte auch die Tatsache, dass beide Ehe­partner heirateten, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre als „Arier“ galten. Eine Beziehung zwischen einer jüdischen und einer „arischen“ Person galt in Rastede im Jahr 1933 als „Rassenschande“ – zwei Jahre vor dem offziellen Verbot solcher Eheschließungen. Auch Siegfried Hoffmann und seine „arische“ Verlobte wurden aufgrund ihrer Verbindung beschimpft und schikaniert.

In einem Gestapo-Bericht vom 10. September 1935 heißt es, alle Rasteder Geschäfte führen die Aufschrift „Juden sind hier nicht erwünscht“. An den Ortseingängen von Rastede – damals am Hirschtor und an der Gaststätte „Nordpol“ – wiesen zudem Transparente daraufhin, dass Juden in Rastede unerwünscht seien. Hauptverantwortlich für die Maßnahmen gegen jüdische Menschen in Rastede waren der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Malermeister Schriefer, und Bürgermeister Fritz Jeddeloh. Ab 1937 war es Bürgermeister Dietrich Damke zusammen mit den Kommunalpolitikern der NSDAP.

Ab 1936 wuchs auch der politische Druck auf die Landwirte, keine Geschäfte mehr mit den jüdischen Viehhändlern zu machen. Zugleich wurden Zuchttierverbände aufgebaut, die die jüdischen Viehhändler ersetzten. Diesem neuen System schlossen sich die Landwirte an, so dass die jüdischen Viehhändler ihr Geschäft aufgeben mussten.

Verfolgung und Vertreibung

Aufgrund der zunehmenden Verfolgung zogen viele jüdische Menschen ab 1935 aus Rastede weg und wanderten dann ganz aus Deutschland aus. Denn mit den Nürnberger Gesetzen stieg die Bedrohungslage noch einmal erheblich.

Als erster verließ Elimar Pinto 1935 die Gemeinde Rastede. Er hatte hier seit 1926 als selbständiger Viehhändler gearbeitet und im Jahr 1933 dann eine Lehre als Gärtner begonnen. Diese konnte er aufgrund der zunehmenden Diskriminierung nicht abschließen. Daher wollte er in Palästina ein neues Leben beginnen.

Siegfried Hoffmann bereitete 1935 für sich und seine Verlobte die Auswanderung nach Luxemburg vor. Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil er auf Grundlage der Nürnberger Gesetze wegen Geschlechtsverkehr mit einer „Arierin“ verhaftet wurde und im Januar 1936 im Gerichtsgefängnis in Oldenburg zu Tode kam.

Regina Wittkop (geb. de Levie) zog 1935 mit ihrem „arischen“ Ehemann August Wittkop nach Schwerin. 1936 ging Grete Rosenbaum (geb. de Levie) mit ihrer Tochter Hannelore nach Hamburg. Von dort aus wanderten sie 1938 nach Bolivien aus.

Arend Hoffmann reiste im Jahr 1937 nach Australien aus. Seine Geschwister Carla und Hermann Hoffmann flohen 1938 in die Niederlande. Von dort aus konnte Arend beide im selben Jahr nach Australien nachholen. Ihr Vater David Hoffmann zog im Jahr 1938 zurück in seine Geburtsstadt Aurich.

Levie und Sophie de Levie zogen zusammen mit ihrem Sohn Berhard de Levie und dessen Frau Doris 1937 nach Oldenburg. Bernhard und Doris de Levie wanderten 1938 nach Australien aus. 1940 konnten sie Levie und Sophie de Levie nachholen.

Auch die Familie Pagener zog 1937 nach Oldenburg, wo die Töchter die jüdische Schule besuchen konnten. 1939 flohen sie in die Niederlande. Dort wurden sie jedoch 1940 verhaftet und deportiert. Die ganze Familie wurde im KZ ermordet.

Die jüdischen Menschen, die aus Rastede weggingen, konnten ihre Häuser und ihren Be­sitz nicht zu einem angemessenen Preis verkaufen. Die Nürnberger Gesetze ermöglichten es den Behörden, ihren Besitz zu „arisieren“. Die Gemeinde Ras­tede be­zahlte daher nur einen Spottpreis, die jüdischen Menschen wurden um das Geld gebracht, das sie für den Neubeginn in einem anderen Land dringend gebraucht hätten. Jüdische Menschen, die ihre Häuser nicht verkaufen wollten, wurden unter erst Druck gesetzt und später zwangsenteignet.

Im November 1938 lebten nur noch die Familie Hattendorf und Dina Röben in Rastede. Karl und Klara Hattendorf lebten von dem Geld, das ihre Tochter Selma als Verkäuferin in Oldenburg verdiente. Karl Hattendorf, der längst das Rentenalter erreicht hatte, wurde im Zuge der Novemberprogrome in seinem Wohnhaus verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen inhaftiert.

Zwangsarbeit, Deportation, Ermordung

Als die Region im Jahr 1940 „judenfei“ gemacht wurde, wurden Karl und Selma Hattendorf und Dina Röben schließlich nach Hamburg ausgewiesen. Ihren Besitz mussten sie aufgeben, um dafür in einem elenden Massenquartier eine Bleibe zu erhalten.

Stolz berichtete der Rasteder Bürgermeister Damke dem Landrat im Mai 1940, dass seit dem 5. Mai in Rastede „gottseidank keine Juden mehr“ wohnen.

Als die Wehrmacht 1940 in die Niederlande einmarschiert war, wurde Familie Pagener in Amsterdam verhaftet und im Lager Westerbork in den Niederlanden interniert.

Auch David Hoffmann, der inzwischen in Aurich lebte, sowie Regina Wittkop (geb. de Levie) und ihr Mann August Wittkop, die nach Schwerin gezogen waren, wurden 1940 nach Hamburg deportiert. Regina Wittkop (geb. de Levie) und Dina Röben mussten in Hamburg Zwangsarbeit leisten.

Im Novermber 1941 wurde David Hoffmann von Hamburg aus ins Ghetto Minsk deportiert. Dort starb er im Dezember 1942. Karl und Klara Hattendorf wurden im Juli 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie beide kurz darauf starben.

Familie Pagener wurde 1944 nach Auschwitz deportiert, wo Norbert Pagener starb. Anna Pagener und ihre Töchter Ruth und Ingrid wurden weiter ins KZ Stutthof gebracht. Sie wurden ebenfalls 1944 oder 1945 ermordet, das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.

Von den zwanzig Rasteder Bürger*innen, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie als „Volljuden“ galten, konnten nur Regina Wittkop (geb. de Levie) und Dina Röben in Deutschland überleben, weil sie mit „arischen“ Ehemännern verheiratet waren. Beide wanderten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland aus.

Die Informationen wurden entnommen aus:

Vahlenkamp, Werner: Von der Achtung zur Ächtung: Die Geschichte der Rasteder Juden. Oldenburg 1989. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)

Gedenkbuch: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Koblenz: Bundesarchiv,
Eintrag für Norbert Pagener: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de436490.

Arolsen Archives: International Center on Nazi Persecution:
Akte von Anna Pagener: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4589226?s=pagener%20anna&t=2518740&p=0
Akte von Ruth Pagener: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4589232?s=pagener%20ruth&t=2518743&p=0
Akte von Ingrid Pagener: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4589229?s=pagener%20ingrid&t=2518742&p=0

Deportationliste Transport Hamburg – Minsk am 8.11.1941: Staatsarchiv Hamburg, Bestand 314-15, Nr. 24 UA 2. (http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_411108.html)