Gedenktafel am Rasteder Rathaus
Sophienstraße 27, 26180 Rastede
Unsere jüdischen Mitbürger*innen
Im Jahr 1989 wurde am Eingang des Rasteder Rathauses eine Gedenktafel angebracht, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. „Unsere jüdischen Mitbürger“, die ermordet wurden, werden dort namentlich genannt. 1933 lebten zwanzig Menschen in Rastede, die nach der Rassenideologie der Nationalsozialist*innen als „Volljuden“ galten. Dabei handelte es sich um Mitglieder von vier jüdischen Familien – Familie Hattendorf, Familie Hoffmann, Familie Pagener und Familie de Levie – sowie um zwei Einzelpersonen – Elimar Pinto und Dina Röben. Die auf der Gedenktafel genannten ermordeten Rasteder*innen entstammen drei der vier jüdischen Familien.

Die Familien Hoffmann, de Levie und Pagener lebten vom Viehhandel und hatten eine eigene Landwirtschaft. Als Viehhändler waren sie angesehen und hatten ein solides Einkommen. Karl Hattendorf war Schlachter, zusammen mit seiner Frau Klara betrieb er eine Schlachterei mit Verkauf. Ihre Tochter Selma war bei der Volksbank Rastede angestellt. Elimar Pinto begann 1933 eine Lehre als Gärtner. Dina Röben hatte einen christlichen Ehemann und war auch selbst zum evangelischen Glauben übergetreten.
Ausgrenzung und Verfolgung
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nahm der Antisemitismus im Ammerland und in Rastede erheblich zu. Seit ihrer Gründung im Februar 1920 machte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) Wahlkampf und hetzte dabei verstärkt gegen jüdische Menschen. Dazu wurden auch antisemitische Wanderredner eingesetzt. So hielt der ehemalige Pfarrer von Borkum, Ludwig Münchmeyer, zwischen 1926 und 1928 als sogenannter „Judenexperte“ im Ammerland 25 Hetzreden, die sehr gut besucht waren. Bei einer solchen Rede im Januar 1927 in Rastede waren einem Bericht zufolge zwischen 180 und 200 Personen anwesend. Zu dieser Zeit befanden sich die jüdischen Bürger*innen in Rastede und im Ammerland schon in einer allgemeinen Außenseiterposition. Die jüdischen Familien in Rastede konnten aber gut von ihrem Geschäft leben, als Geschäftspartner hatten sie einen guten Ruf.
Bei den Reichstagswahlen 1933, die zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland führten, erhielt die NSDAP in Rastede 67 Prozent der Stimmen. Zusammen mit der verbündeten und ebenfalls antisemitisch auftretenden Deutschnationalen Volkspartei kam man insgesamt auf 85 Prozent der Stimmen. Ab diesem Zeitpunkt verschlechterte sich die Situation der Juden in ganz Deutschland drastisch. Eine der ersten offiziellen politischen Maßnahmen war der „Judenboykott“ am 1. April 1933. In ganz Deutschland wurden jüdische Geschäfte umstellt, es wurden Schilder angebracht „Kauft nicht beim Juden“, Scheiben wurden eingeschlagen, jüdische Menschen wurden angegriffen.
In Rastede betraf der „Judenboykott“ vor allem das Geschäft von Karl Hattendorf. Der Verkauf an seiner Schlachterei wurde von SA-Männern umstellt, so dass sich niemand hinein traute. Seiner Stieftochter Selma Hattendorf, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie als „Halbjüdin“ galt, wurde von ihrem Arbeitgeber, der Rasteder Volksbank, mit Verweis auf ihre jüdische Abstammung zum 1. April 1933 gekündigt.
Bereits im Frühjahr 1933 wurden die sogenannten „Volljuden“ aus dem Rasteder Turnverein ausgeschlossen – lange bevor es dazu eine offizielle gesetzliche Anordnung gab. Im Frühjahr 1934 folgte dann auch der Ausschluss der „Halbjüdin“ Selma Hattendorf.
Jüdische Menschen konnten in Rastede in den meisten Geschäften nicht mehr einkaufen, Nachbar*innen grüßten nicht mehr. Die drei jüdischen Kinder im Schulalter wurden in der Volksschule schikaniert und verprügelt. Dabei waren es vor allem Lehrkräfte, die die Mitschüler*innen gegen sie aufhetzten.
Die jüdischen Viehhändler konnten zunächst noch weiter arbeiten, weil sie für die Landwirte unersetzbar waren. Sie wurden aber zum Beispiel durch die Verwaltung schikaniert, indem man sie ständig wegen Kleinigkeiten anzeigte und Hausdurchsuchungen durchführte.
Die Familie de Levie wurde in besonderem Maße schikaniert und mit Hausdurchsuchungen überzogen, weil die Geschwister Bernhard und Regina Sozialdemokrat*innen waren. Für große Empörung sorgte auch die Tatsache, dass beide Ehepartner heirateten, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre als „Arier“ galten. Eine Beziehung zwischen einer jüdischen und einer „arischen“ Person galt in Rastede im Jahr 1933 als „Rassenschande“ – zwei Jahre vor dem offziellen Verbot solcher Eheschließungen. Auch Siegfried Hoffmann und seine „arische“ Verlobte wurden aufgrund ihrer Verbindung beschimpft und schikaniert.
In einem Gestapo-Bericht vom 10. September 1935 heißt es, alle Rasteder Geschäfte führen die Aufschrift „Juden sind hier nicht erwünscht“. An den Ortseingängen von Rastede – damals am Hirschtor und an der Gaststätte „Nordpol“ – wiesen zudem Transparente daraufhin, dass Juden in Rastede unerwünscht seien. Hauptverantwortlich für die Maßnahmen gegen jüdische Menschen in Rastede waren der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Malermeister Schriefer, und Bürgermeister Fritz Jeddeloh. Ab 1937 war es Bürgermeister Dietrich Damke zusammen mit den Kommunalpolitikern der NSDAP.
Ab 1936 wuchs auch der politische Druck auf die Landwirte, keine Geschäfte mehr mit den jüdischen Viehhändlern zu machen. Zugleich wurden Zuchttierverbände aufgebaut, die die jüdischen Viehhändler ersetzten. Diesem neuen System schlossen sich die Landwirte an, so dass die jüdischen Viehhändler ihr Geschäft aufgeben mussten.
Vertreibung aus Rastede bis 1940
Aufgrund der zunehmenden Verfolgung zogen viele jüdische Menschen ab 1935 aus Rastede weg und wanderten dann ganz aus Deutschland aus. Denn mit den Nürnberger Gesetzen stieg die Bedrohungslage noch einmal erheblich.
Als erster verließ Elimar Pinto im Jahr 1935 die Gemeinde Rastede. Er hatte hier seit 1926 als selbständiger Viehhändler gearbeitet und im Jahr 1933 dann eine Lehre als Gärtner begonnen. Diese konnte er aufgrund der zunehmenden Diskriminierung nicht abschließen. Daher wollte er in Palästina ein neues Leben beginnen.
Siegfried Hoffmann bereitete 1935 für sich und seine „arische“ Verlobte die Auswanderung nach Luxemburg vor. Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil er auf Grundlage der Nürnberger Gesetze wegen Geschlechtsverkehr mit einer „Arierin“ verhaftet wurde und im Januar 1936 im Gerichtsgefängnis in Oldenburg zu Tode kam. Er war das erste jüdische Todesopfer der Nationalsozialisten im Oldenburger Land.
Zwischen 1935 und 1938 zogen die Mitglieder Familien Hoffmann, de Levie und Pagener aus Rastede weg. Zumeist gingen sie in größere Städte, wo es mehr jüdische Menschen gab und man sich gegenseitig unterstützen konnte. Gleichzeitig wurde schon die Ausreise aus Deutschland vorbereitet. Die Zeit bis zur Emigration verlief für viele sehr unstet. Denn jüdische Menschen waren nirgendwo in Deutschland mehr sicher. Die Kinder von David Hoffmann hielten sich bis zur ihrer Emigration jeweils bei Freunden an verschiedenen Orten in Deutschland auf. Norbert und Anna Pagener reisten teilweise getrennt voneinander in die Niederlande, Anna war zeitweise in Haft.
Die jüdischen Menschen, die aus Rastede weggingen, konnten ihre Häuser und ihren Besitz nicht zu einem angemessenen Preis verkaufen. Die Nürnberger Gesetze ermöglichten es den Behörden, ihren Besitz zu „arisieren“. Die Gemeinde Rastede bezahlte daher nur einen Spottpreis, die jüdischen Menschen wurden um das Geld gebracht, das sie für den Neubeginn in einem anderen Land dringend gebraucht hätten. Jüdische Menschen, die ihre Häuser nicht verkaufen wollten, wurden unter erst Druck gesetzt und später zwangsenteignet.
Im November 1938 lebten nur noch die Familie Hattendorf und Dina Röben in Rastede. Karl Hattendorf, der längst das Rentenalter erreicht hatte, wurde im Zuge der Novemberprogrome in seinem Wohnhaus verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen inhaftiert.
Als die Region im Jahr 1940 „judenfei“ gemacht wurde, wurden Karl und Selma Hattendorf und Dina Röben schließlich nach Hamburg ausgewiesen. Ihren Besitz mussten sie aufgeben, um dafür in einem elenden Massenquartier eine Bleibe zu erhalten.
Stolz berichtete der Rasteder Bürgermeister Damke dem Landrat im Mai 1940, dass seit dem 5. Mai in Rastede „gottseidank keine Juden mehr“ wohnen.
Zwangsarbeit, Deportation, Ermordung
Von den zwanzig Rasteder Bürger*innen, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie als „Volljuden“ galten, waren im Jahr 1940 insgesamt noch fünf in Deuschland. Wie das Ehepaar Hattendorf war auch David Hoffmann in ein Massenquartier in Hamburg eingewiesen worden. Alle drei wurden von dort „in den Osten“ deportiert und ermordet. David Hoffmann starb 1942 im Ghetto Minsk. Karl und Klara Hattendorf starben im selben Jahr im KZ Theresienstadt.
Auch Anna, Norbert, Ruth und Ingrid Pagener wurden im Konzentrationslager ermordet. Die Familie waren 1938/39 in die Niederlande emigriert. Als die Wehrmacht 1940 in die Niederlande einmarschiert war, wurden die Pageners verhaftet und im Lager Westerbork in den Niederlanden interniert. Im Jahr 1944 wurde die Familie nach Auschwitz deportiert, wo Norbert Pagener starb. Anna Pagener und ihre Töchter Ruth und Ingrid wurden weiter ins KZ Stutthof gebracht. Dort wurden sie ebenfalls ermordet, das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.
Regina Wittkop (geb. de Levie) und Dina Röben mussten in Hamburg Zwangsarbeit leisten. Von den jüdischen Mitbürger*innen aus Rastede waren diese beiden Frauen die einzigen, in Deutschland überleben konnten, weil sie „arische“ Ehemänner geheiratet hatten. Beide wanderten aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland aus.
Die Informationen wurden entnommen aus:
Vahlenkamp, Werner: Von der Achtung zur Ächtung: Die Geschichte der Rasteder Juden. Oldenburg 1989. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)
Gedenkbuch: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Koblenz: Bundesarchiv,
Eintrag für Norbert Pagener: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de436490.
Arolsen Archives: International Center on Nazi Persecution:
Akte von Anna Pagener: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4589226?s=pagener%20anna&t=2518740&p=0
Akte von Ruth Pagener: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4589232?s=pagener%20ruth&t=2518743&p=0
Akte von Ingrid Pagener: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4589229?s=pagener%20ingrid&t=2518742&p=0
Deportationliste Transport Hamburg – Minsk am 8.11.1941: Staatsarchiv Hamburg, Bestand 314-15, Nr. 24 UA 2. (http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_411108.html)