Brötje-Werke in der August-Brötje-Straße

August-Brötje-Straße 17, 26180 Rastede

Zwangsarbeiter*innen für die deutsche Wirtschaft

In der Zeit des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) wurden rund 10 Millionen Menschen aus den vom nationalsozialistischen Deutschland überfallenen und besetzten Ländern verschleppt und zur Arbeit in der deutschen Kriegswirtschaft gezwungen. Männer, Frauen und Kinder wurden als Arbeitskräfte eingesetzt, um die zur Wehrmacht eingezogenen Deutschen zu ersetzen. Die meisten kamen aus Polen und der Sowjetunion.

Zwangsarbeit bedeutete:

  • gewaltsame Verschleppung der Arbeitskräfte aus den Herkunftsländern
  • Registrierung durch die Polizei und Zuweisung eines Zielorts und einer Arbeitsstätte durch das Arbeitsamt
  • Strafe bei Übertretung von Anordnungen wie Arbeitsverweigerung, Fernbleiben vom Arbeitsplatz, Verlassen des Aufenthaltsortes
  • Unterbringung in Lagern oder Gemeinschaftsunterkünften
  • Bewachung und Kontrolle durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und die SS
  • Isolation von der deutschen Bevölkerung

Heuzeroth, Günter: Die im Dreck lebten: Ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und die Lager in den Landkreisen Ammerland, Wesermarsch und Friesland. Reihe: Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus: Dargestellt an den Ereignissen in Weser-Ems: 1339-1945: Band IV/3. Osnabrück: Druck- und Verlagskooperative 1996, S. 23. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)

Die Lager

In Rastede befanden sich mindestens acht Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen. Die Unterlagen dazu sind sehr unvollständig, sie erlauben kein vollständiges Bild, sondern nur einen allgemeinen Eindruck.

Eine Liste der Gemeinde Rastede vom 12. April 1949 enthält folgende Angaben zu Lagern in Rastede:

  • Kriegsgefangenenlager Tannenkrug, Neusüdende: 40 Belgier
  • Kriegsgefangenenlager Hahn bei Gastwirt Willers: 40 Mann; zunächst Polen, später Belgier und
    Franzosen
  • Kriegsgefangenenlager Schützenhalle, Rastede: ca. 50 Mann; zunächst Belgier, dann Serben
  • Ostarbeiterlager Kleibrok: 20 Russen
  • Ostarbeiterlager der Firma Frers, Hostemost: 60 Personen; Polen und Ukrainer
  • Ausländerlager der Firma August Brötje, Rastede: 160 Mann; Russen, Polen, Belgier, Tschechen und Franzosen
  • Ausländerlager der Firma Walter v. Essen, Rastede: 19 Polen und 1 Russe
  • Ausländerlager der Firma Kettler, Hahn: ca. 30 bis 40 Mann; wahrscheinlich Belgier und Franzosen

Heuzeroth, Günter: Die im Dreck lebten: Ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und die Lager in den Landkreisen Ammerland, Wesermarsch und Friesland. Reihe: Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus: Dargestellt an den Ereignissen in Weser-Ems: 1339-1945: Band IV/3. Osnabrück: Druck- und Verlagskooperative 1996, S. 43. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)

Die Lebensbedingungen in den Lagern

Die Lebensbedingungen der Ausländer*innen waren entscheidend von der nationalsozialistischen Rassenideologie geprägt. Je nachdem, zu welcher Gruppe der rassistischen Hierarchie die Menschen gezählt wurden, unterschieden sich der Lohn sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen. Auch die konkreten Bedingungen in den einzelnen Arbeitsstätten waren unterschiedlich und hingen davon ab, ob die Zwangsarbeiter*innen gesund blieben, ob sie bereit waren sich unterzuordnen, und wie sich die Inhaber*innen und Arbeitskolleg*innen verhielten.

Die Mehrzahl der Zwangsarbeiter*innen kam aus aus Polen und aus den sowjetisch besetzten Gebieten und gehörte daher den sogenannten slawischen Völkern an. In der nationalsozialistischen Rassenideologie nahmen sie gemäß dem konstruierten Bild als verschlagene und brutale Primitive eine der niedrigsten Stufen ein. Neben den jüdischen Menschen und den Sinti und Roma betrachtete man auch die Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion als wertlos – in der Sprache der Nationalsozialismus wurden sie „Untermenschen“ genannt.

Die diskriminierende Lebenssituation zeigte sich besonders in der Kennzeichnungspflicht: Zwangsarbeiter*innen aus Polen mussten ein violettes „P-Abzeichen“ an ihre Kleidungsstücke nähen, Zwangsarbeiter*innen aus der Sowjetunion ein blau-weißes „OST-Abzeichen“. Diese Kennzeichnung erleichterte nicht nur die Kontrolle der Zwangsarbeiter*innen. Durch den sichtbaren Hinweis auf ihre niedrige Stellung wurde auch einer Solidarisierung zwischen Zwangsarbeiter*innen unterschiedlicher Nationalität untereinander und mit Deutschen entgegenwirkt.

Abzeichen aus Stoff zur Kennzeichnung von Zwangsarbeiter*innen aus Polen. Es war 5 mal 5 Zentimeter groß und musste gut sichtbar auf die Kleidung aufgenäht werden.
Foto: Stadtarchiv Göttingen, abrufbar unter (externe Webseite): https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/frames/fr_gesetze.htm.

Abzeichen aus Stoff zur Kennzeichnung von „Ostarbeitern“ aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion (Ukraine, Belarus, Estland, Lettland, u.a.)
Foto: Doc.Heintz, CC BY-SA 3.0, abrufbar unter (externe Webseite): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostarbeiter.jpg.

Polnische Zwangsarbeiter*innen mussten länger arbeiten als ihre deutschen Arbeitskolleg*innen. Sie erhielten niedrigere Löhne, niedrigere Verpflegungssätze und wurden von deutschen und anderen Arbeiter*innen abgesondert. Den sowjetischen Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen erging es noch schlimmer als den Pol*innen. Die Rationen für die sogenannten Ostarbeiter*nnen waren so gering, dass sie oft schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft so unterernährt waren, dass sie nicht mehr arbeiten konnten. Zwangsarbeiter*innen aus Polen durften das Lager nur innerhalb von der Polizei festgesetzter Zeiten ohne Aufsicht verlassen. Sogenannte „Ostarbeiter*innen“ durften das Lager sogar nur in einer bewachten geschlossenen Gruppe verlassen, um sich zur Arbeitsstelle zu begeben. Grundsätzlich sollte es sowohl den Arbeiter*innen aus Polen als auch aus der damaligen Sowjetunion unmöglich gemacht werden, mit Deutschen zusammenzukommen.


Hoffman, Katharina: Ausländische ZwangsarbeiterInnen in Oldenburg während des Zweiten Weltkrieges. Eine Rekonstruktion der Lebensverhältnisse und Analyse von Erinnerungen deutscher und polnischer ZeitzeugInnen: Dissertation zur Erlangung eines Doktorgrades der Philosophie des Fachbereichs Sozialwissenschaften an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg. Oldenburg: April 1999, S. 66-71. (Die Arbeit ist online verfügbar unter http://oops.uni-oldenburg.de/387/1/420.pdf).

Firma August Brötje

Besonders viele Zwangsarbeiter*innen arbeiteten in der deutschen Rüstungsindustrie. In Rastede gab es die meisten Zwangsarbeiter*innen bei der Firma August Brötje. Das Unternehmen gibt an, dass es damals „gezwungen war, Rüstungsaufträge zu übernehmen“, u.a. wurden Flugzeugteile für die Luftwaffe hergestellt.


Heuzeroth, Günter: Die im Dreck lebten: Ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und die Lager in den Landkreisen Ammerland, Wesermarsch und Friesland. Reihe: Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus: Dargestellt an den Ereignissen in Weser-Ems: 1339-1945: Band IV/3. Osnabrück: Druck- und Verlagskooperative 1996, S. 43. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)

Wolfgang Müller: In dunkler Vergangenheit recherchiert. In: NWZ Online, 26.06.2009, https://www.nwzonline.de/ammerland/wirtschaft/in-dunkler-vergangenheit-recherchiert_a_1,0,3449794496.html, letzter Zugriff: 23.06.2022. (Dieser Artikel der NWZ kann als „PLUS-Artikel“ nur von Abonnent*innen oder gegen Entgelt abgerufen werden.)


Erinnerungen des Zeitzeugen Herrn Lehners aus Rastede

Herr Lehners beobachtete als Schüler in der Mittagspause vom Schulhof der Volksschule aus, wie täglich um 12.00 Uhr ein Wachmann mit einer Gruppe von etwa 20 Zwangsarbeiter*innen, Männern und Frauen, die Straße entlang führte: Die Zwangsarbeiter*innen mussten zu dritt nebeneinander laufen, der Wachmann trug gut sichtbar eine Pistole. Herrn Lehners zufolge handelte es sich um Zwangsarbeiter*innen der Firma August Brötje. Sie gingen mittags vom Werk in der Peterstraße, welches heute nicht mehr existiert, zum Essen nach Kleinenfelde – an den heutigen Standort in der August-Brötje-Straße.

In der Peterstraße 14, wo sich heute die Seniorenresidenz Petershof befindet, war das erste Werk der 1919 gegründeten Firma August Brötje, Heizungsbau. Um 1940 entstand das Werk am heutigen Standort in der August-Brötje-Straße. Foto von 2024